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Außenminister Heiko Maas im Interview mit dem Internet-Portal politicki.ba

12.11.2021 - Interview

Außenminister Heiko Maas äußert sich im Interview zur aktuellen politischen Lage in Bosnien und Herzegowina

BM Heiko Maas
BM Heiko Maas© Picture Alliance
Wird es einen Krieg in BiH geben? Politische Analysten, Journalisten, Think-tank, aber auch Mitglieder des Europäischen Parlaments und des britischen Parlaments – alle warnen zunehmend davor?

Was wir derzeit in Bosnien und Herzegowina erleben ist die schlimmste politische Krise seit dem Ende des Bosnien-Kriegs 1995 – diese Auffassung teile ich. Es macht mich betroffen, wenn ich höre, dass Menschen im Land sich sogar wieder vor Gewalt fürchten.

Verantwortlich dafür ist vor allem die gefährliche und verantwortungslose Sezessionspolitik der Regierung der Republika Srpska. Nach dem Rückzug aus der gesamtstaatlichen Agentur für Medizin soll offenbar als nächstes der Rückzug aus dem Hohen Justizrat und den staatlichen Steuerbehörden und sogar die Gründung einer eigenen Armee beschlossen werden. Diese nationalistische Politik reißt alte Wunden auf und gefährdet die friedliche Zukunft des ganzen Landes. Dieser Weg löst kein einziges Problem, aber schafft jede Menge neuer Probleme, gerade auch für die Menschen in der Republika Srbska. Eine anhaltende Krise mit institutionellem Chaos, Lähmung der bitter notwendigen Reformen und weiter zunehmenden Spannungen wird Investoren aus dem Land treiben, die Arbeitslosigkeit steigern und die Abwanderung noch verstärken.

Stimmen Sie Meinung zu, dass die Streichung der Referenzen HR und OHR aus der Resolution zur Verlängerung des EUFOR-Mandats dem OHR und Christian Schmidt geschadet und sie geschwächt hat? Warum musste dieser Kompromiss, wenn es überhaupt ein Kompromiss war, getroffen werden? Sollten Sie der Meinung sein, dass weder Schmidt und sein Amt geschwächt sind, bitte erläutern Sie es?

Dazu möchte ich unterstreichen: das Mandat und die Zuständigkeiten des Hohen Repräsentanten leiten sich aus dem Dayton-Friedensvertrag ab - nicht vom UN Sicherheitsrat oder gar von EUFOR Althea. Daran werden die russischen Bemühungen in New York, hier eine Verbindung herzustellen, nichts ändern.
Der Hohe Repräsentant spielt jedoch gerade auch für die Vereinten Nationen weiterhin eine herausragend wichtige Rolle, indem er regelmäßig den Sicherheitsrat unterrichtet. Der schriftliche Bericht des hohen Repräsentanten war auch dieses Mal der wichtigste Bezugspunkt in der Sicherheitsratsdebatte zu Bosnien und Herzegowina am 3. November. Wir arbeiten mit unseren Partnern darauf hin, dass auch in Zukunft wieder mündliche Briefings stattfinden können. Die Mitglieder des Sicherheitsrats haben aus unserer Sicht einen Anspruch darauf, einen Dialog mit dem Hohen Vertreter zu dessen Berichterstattung führen zu können.

Wird Deutschland Christian Schmidt bei der Anwendung der Bonner power in den kommenden Wochen und Monaten unterstützen? Hat er – ansonsten- die deutsche Unterstützung, diese Befugnisse zu nutzen, weil die Situation eskaliert und er selbst vor Dodik warnt und seinen ständigen Verletzung des Dayton-Abkommens und seiner Handlungen im Hinblick auf die (nicht erklärte) Sezession?
Der hohe Vertreter spielt eine zentrale Rolle. Er soll die staatlichen Institutionen auf allen Ebenen stärken und er wacht darüber, dass der Dayton-Friedensvertrag eingehalten wird. Dafür hat er die volle Unterstützung Deutschlands, unserer EU-Partner sowie der breiten Mehrheit der Mitglieder im VN-Sicherheitsrat. Ihm steht ein breiter Instrumentenkasten zur Verfügung zu dem auch die ihm von der internationalen Gemeinschaft verliehenen Vollmachten, die sogenannten Bonner Befugnisse„ gehören.

Die USA hat Sanktionen gegen Dodik angekündigt. Wird Deutschland mitziehen und auf welche Weise? Habe ich mit meiner Position nicht Recht, dass die EU keine Sanktionen gegen Dodik verhängen wird, weil es in der EU selbst keinen Konsens gibt?
Wir werden die Fortsetzung dieser verantwortungslosen Politik nicht tatenlos hinnehmen können. Denn sie schadet nicht nur den Menschen in Bosnien und Herzegowina. Sie wirft auch all die Fortschritte zurück, die mit massiver Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, der EU und Deutschlands auf der Basis des Friedensvertrags von Dayton über viele Jahre erreicht wurden.

Deutschland ist der größte bilaterale Unterstützer Bosnien und Herzegowinas. Es ist aber klar: wir können und werden das Geld deutscher Steuerzahler nicht in eine Entität lenken, die aktiv daran arbeitet, Bosnien und Herzegowina als Gesamtstaat kaputt zu machen. Und wir werden auch über individuelle Maßnahmen gegen diejenigen nachdenken, die die territoriale Integrität des Landes infrage stellen.
Dabei stimmen wir uns sehr eng ab mit unseren Partnern, innerhalb der EU, aber auch mit Amerikanern und Briten.

Laut Meinung vieler Analysten ist der Prozess der EU-Erweiterung (so wie jetzt) tot. Was muss die EU Ihrer Meinung nach tun, um zu beweisen, dass dies nicht der Fall ist?

Wir sind weiterhin der Auffassung: die EU-Perspektive ist die große Chance für Bosnien und Herzegowina und für die Region auf eine dauerhafte Zukunft in Frieden und Wohlstand. Sie liegt aber auch im geostrategischen Interesse der EU selbst. Als Europäer verbindet uns eine gemeinsame Vergangenheit und – davon sind wir überzeugt – eine gemeinsame Zukunft.
Aber klar ist auch, dass für eine Mitgliedschaft Bedingungen erfüllt werden müssen. Bosnien und Herzegowina hat 2016 einen Beitrittsantrag gestellt. Damit es hier vorangeht – und das wünschen wir uns sehr – müssen die von der Europäischen Kommission identifizierten Reformen aktiv angegangen werden. Zentral sind etwa Rechtstaatlichkeit oder eine Anpassung des Wahlrechts. Nur mit einem verlässlichen Rechtsstaat kommen dringend benötigte Investitionen ins Land, entstehen Arbeitsplätze und werden die jungen Bosnierinnen und Bosnier in ihrem Land bleiben.
Das aktuelle Tempo der Reformen in Bosnien und Herzegowina ist jedoch leider völlig unbefriedigend. Statt anzupacken, werden Reformen verzögert und blockiert. Die aktuelle Krise verschärft dies. Die Beteiligten müssen endlich verstehen: hier geht es nicht nur um einen lokalen Machtpoker. Verantwortungslose Politiker sind dabei, hier gerade die Zukunft eines ganzen Landes und seiner Menschen aufs Spiel zu setzen.
Denn die für die EU-Integration notwendigen Reformen sind ja kein Selbstzweck, sondern eine unbedingt erforderliche Investition in die Zukunft des Landes.

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