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Interview mit Botschafterin Hohmann für Nachrichtenagentur ONASA

05.09.2018 - Interview

Christiane Hohmann, Botschafterin

Interview für Nachrichtenagentur ONASA

Journalist: Ajdin BALICEVAC


1. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit zwischen BiH und Deutschland in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht?

Unsere Beziehungen sind eng und sehr vielseitig. Denken Sie nur an die rund 350.000 Menschen, die während des Krieges in DEU Aufnahme fanden. Bis heute gibt es insofern neben den engen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Verbindungen, freundschaftliche und rege persönliche Beziehungen zwischen den Menschen unserer beiden Länder. Das kann ich bspw. jedesmal sehen, wenn ich von Sarajewo nach München oder zurück fliege: Das Flugzeug ist voll von Reisenden aus diesem Land!
Ein anderes schönes Beispiel sind für mich intensive Städtepartnerschaften. Bspw. zwischen Leipzig und Travnik, die im Mai ihr fünfzehnjähriges Bestehen feiern konnte. Auch zahlreiche Schulpartnerschaften sorgen dafür, dass der Austausch lebendig bleibt.

Aber DEU ist nicht nur langjähriger Freund, sondern auch ein ehrlicher Partner BiHs. Das heißt, dass wir nicht nur würdigen, was das Land schon alles erreicht hat, sondern dass wir auch offen und deutlich sagen, was besser werden muss. In diesem Sinne: BIH braucht mutige und substantielle Reformen in vielen Bereichen um voran zu kommen.

2. Die Deutsche Botschaft hat durch zahlreiche Zuwendungen die Entwicklung BiHs unterstützt. Welche Bereiche werden in der kommenden Zeit im Fokus stehen?

DEU unterstützt weiterhin vor allem solche Projekte, die BiH auf dem Weg in die EU befördern. Das sind soziale Reformen und wirtschaftliche, die BiH fit für den Binnenmarkt machen. Das Investitionsklima in BiH muss besser werden!

Ganz wichtig ist uns auch das Engagement und unser ständiges Mahnen für mehr Rechtsstaatlichkeit. Ausländische Investoren kommen nur, wenn Rechtssicherheit herrscht, wenn Verwaltungsverfahren absehbar sind und Gerichte in die Lage versetzt werden, eines nicht allzu fernen Tages ein unabhängiges und nachvollziehbares Urteil zu fällen.

Weiter unterstützt DEU BiH dabei, Fachkräfte auszubilden und auch auf diese Weise das Land zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort zu machen.

Unsere finanziellen Hilfen für erneuerbare Energien runden unsere Unterstützung ab: Beispielsweise nahm der mit Förderkrediten der KfW gebaute Windpark Mesihovina im Frühjahr 2018 seinen Betrieb auf.


3. Die Zahl der jungen hochqualifizierten Menschen in BiH, die das Land verlassen, steigt an. Was wären ihre Empfehlungen, um diesen Trend zu stoppen?

Die jungen meist hochqualifizierten Menschen brauchen vernünftige Jobs, eine Perspektive im eigenen Land. Das heisst konkret, dass sie soziale Absicherung, insbesondere Gesundheitsvorsorge und gesicherte Renten, brauchen. Und wenn sie Kinder haben, brauchen sie bessere Schulen mit gut ausgebildeten Lehrern und mit einem modernen Curriculum. Die Schüler müssen auf das Berufsleben vorbereitet - und ohne Ansehung ihres Hintergrundes gemeinsam unterrichtet werden!

4. Wie dynamisch entwickelt sich Ihrer Meinung nach BIH auf dem Weg in die EU und zur NATO-Mitgliedschaft?

Nicht so dynamisch, wie wir es uns wünschen würden. Auf dem Weg in die EU ist der zweite Fragebogen zu beantworten. Hoffen wir, dass BIH dieses Mal schneller ist! Auch bei der MAP-Aktivierung liegt der Ball im Feld von BiH: Sie müssen die Voraussetzungen hierfür erfüllen. Dass in BiH nicht alle einvernehmlich an dem Ziel arbeiten, befördert die MAP-Aktivierung nicht gerade.

Um das zu erreichen, muss BIH endlich die lange überfälligen sozio-ökonomischen Reformen angehen. Die Politiker auf allen Ebenen müssen endlich aufhören, permanent Krisen und Spannungen zu produzieren und Verantwortung für das Land als Ganzes übernehmen und es Richtung EU führen. Es geht darum, dass die positiven Auswirkungen der EU-Annäherung in absehbarer Zeit bei den Menschen hier ankommen – und nicht die Menschen den Vorteilen der EU hinterherziehen müssen!

Und, ich sage es noch einmal, bereits kurzfristig braucht dieses Land mehr Rechtssicherheit, damit die Investoren und mit ihnen die Arbeitsplätze kommen, bevor noch mehr Menschen dem Land den Rücken gekehrt haben..

Noch eines liegt mir am Herzen: All' dies ist nur zu erreichen, wenn die Menschen alle zusammen nach einer Verbesserung ihrer Lebenssituation streben. Keine Volksgruppe kann es ohne die andere schaffen, keine Entität wird gesondert ihren Lebensstandard verbessern können geschweige denn der EU beitreten. Viele der jungen Menschen würden gerne beitragen zu einem Großen und Ganzen: Ich hoffe, sie bekommen die Möglichkeit …

5. Sind deutsche Firmen mit dem Geschäftsumfeld in BiH zufrieden und planen sie weitere Investitionen zu tätigen?

Von deutschen Investoren höre ich immer wieder wie zufrieden sie mit ihren Mitarbeitern sind: Sie bezeichnen sie als loyal und leistungsstark! Es gibt eine enorme Wertschätzung für bih-Arbeitnehmer.

Aber - wie gesagt: Das Investitionsklima könnte besser sein! Die Lohnnebenkosten sind mit mehr als Zweidrittel entschieden zu hoch und schrecken Investoren, also auch deutsche Firmen, ab.

Wie alle Investoren wünschen sich deutsche Firmen vor allem – ich erwähnte es bereits: Rechtssicherheit. Sie bauen Produktionsanlagen nur, wenn sie sicher sein können, dass ihnen der Grund und Boden auch morgen noch zu einem angemessenen Preis zur Verfügung steht und dass Verträge auch eingehalten werden.

Der dritte Punkt sind Fachkräfte, die möglichst noch eine Fremdsprache beherrschen. Teilweise sind die deutschen Investoren dazu übergegngen, ihre Fachkräfte selbst auszubilden, da das bih-Schulsystem die jungen Menschen viel zu wenig auf den Arbeitsmarkt vorbereitet.

6. Für welche Wirtschaftszweige in BIH interessieren sich die deutschen Unternehmer am meisten?

Nun, ich bin keine Unternehmerin … soweit mir bekannt, sind insbesondere die Bereiche Automobil, Holz- und Möbelindustrie, Lebensmittel und zunehmend auch IT-Dienstleistungen für deutsche Unternehmer interessant.

7. Deutschland ist tradizionell einer der wichtigsten Außenhandelspartner BiHs. Erwarten Sie einen Anstieg des Handelsvolumens in der Zukunft und welche Produkte aus BiH sind für Deutschland am interessantesten?

Deutschland ist mit einem Handelsvolumen von rund 1,7 Mrd. Euro bereits wichtigster bilateraler Handelspartner BiHs. Besonders interessant sind für DEU Handelspartner die Automobilzuliefersparte und zunehmend auch Endprodukte, z.B. im landwirtschaftlichen Bereich.

Um das Handelsvolumen weiter zu steigern bedarf es neben qualitativ ansprechenden Produkten der Einhaltung von EU-Standards. Und einer Sache, die ich heute schon mehrfach erwähnt habe: Rechtssicherheit!

8. Der Tourismus ist einer der stärksten Wirtschaftszweige Deutschlands. Kann BiH in Anbetracht seines Kultur- und historischen Erbes sowie der Naturschönheiten eines der bedeutsamsten europäischen Ziele für Touristen werden?

Wie wahr, BiH hat seinen Besuchern einiges zu bieten: Von der Herzlichkeit seiner Menschen über unberührte Natur bis hin zum vielfältigen kulturellen Erbe auf engem Raum.

Allerdings muss dringend die Infrastruktur ausgebaut werden: Touristen brauchen gute Unterkünfte, Verkehrsverbindungen und eine gesundheitsförderliche Umgebung. Reisende akzeptiern nicht, dass sich neben Straßen und Flüssen der Plastikmüll sammelt und in Sarajwo die Luft so schlecht ist, dass man kaum durchatmen und im Winter oft auch nicht auf dem Flughafen landen kann.

Insgesamt mangelt es BiH an einer umfassenden Strategie, den Tourismus landesweit weiterzuentwickeln. BiH bietet viele einzelne Attraktionen, aber kein Konzept, wie man diese zu einem Gesamturlaub zusammenbindet. Ich wünsche mir, ich wünsche dem Land, dass es gelingt, einen qualitativ hochwertigen Tourismus zu befördern, zum Beispiel den Ökotourismus.

Es wäre doch schön, wenn Menschen hier im Einklang mit der Natur beispielsweise auf ausgeschilderten Wanderwegen wandeln könnten, wenn es eine Möglichkeit gäbe, sein Gepäck befördern zu lassen, oder man an einem Regentag auf ein zuverlässiges alternatives Verkehrsmittel ausweichen und das Bergdorf auf diesem Wege erreichen könnte.

9. Inwieweit ist BiH mit kulturellen Inhalten in Deutschland präsent, wenn man berücksichtigt, dass in Deutschland viele BIH-Bürger leben?

Die bih Kultur ist in DEU sehr gegenwärtig. Viele bih Einflüsse sind sogar fester Bestandteil unseres Alltags geworden. Das fängt bei der Küche an, die aus dem Westbalkan nach Deutschland gekommen ist und in unsere Essgewohnheiten mit geprägt hat: Jeder Deutsche kennt beispielsweise Cevapi und Burek. Wir essen diese Speisen entweder in den zahlreichen Restaurants mit Betreibern aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens oder wir bereiten Cevapi inzwischen auch leicht abgewandelt selber zu.

Auch bih Sportler und Künstler spielen in Deutschland eine große Rolle. Nehmen Sie nur Hasan Salihamidžić: Der ehemalige Fußballspieler aus Jablanica ist nun Sportdirektor beim FC Bayern München. Die deutsche Tennis-Meisterin 2007 und 9 ist die in Tuzla geborene Andrea Petković. Und dass der Schriftsteller und Träger zahlreicher Literaturpreise, Saša Stanišić, in Višegrad geboren ist und nicht in Heidelberg, wissen wir hauptsächlich wegen seines für die deutsche Zunge nicht ganz leicht auszusprechenden Namens.

BiH Kultur hat einen breiten Eingang in die deutsche Kultur und unseren Alltag gefunden. Bei uns wird sie nicht nur kulinarisch als Bereicherung empfunden! Beispielsweise wird auch die biH musikalische Tradition in Deutschland sehr geschätzt. Faszinierend finde ich vor allem, wie im Dialog zweier Kulturszenen auch Neues entstehen kann. So wurde die erfolgreiche Partyreihe „Balkan Beats“ 1993 in Berlin gegründet - von Robert Soko, der in Zenica geboren wurde. Inzwischen ist die Mischung aus traditioneller Musik und modernen Beats der Berliner Clubszene weltweit erfolgreich.

10. In der BiH-Öffentlichkeit fand die Haltung von Kanzlerin Merkel beim letzten Treffen mit Ministerpräsidenten Zvizdic, dass es keine Änderungen der Grenzen auf dem Balkan geben wird, ein positives Echo. Wird Deutschland auch weiterhin BIH auf seinem Weg in die EU unterstützen?

Deutschland steht fest an der Seite BiHs. Das hat BK'in Merkel anläßlich des Besuches von PM Zvizdić erneut versichert. Auch emotional ist Deutschland mit BiH eng verbunden und wird BiH als Gesamtstaat auf seinem nicht einfachen Weg Richtung EU eng begleiten.

11. Denken Sie, dass die Zusammenarbeit in der Region u.a. dank Deutschland und des Berlin - Prozesses in den letzten Jahren verbessert wurde?

Ja, unbedingt! Den Berlin Prozess hat Deutschland 100 Jahre nach Ausbruch des 1. WK ins Leben gerufen, mit dem Ziel die ehemaligen Kontrahenten zusammenzubringen, damit sie miteinander reden und nicht übereinander. Deutschland weiss aus eigener Erfahrung, wie wichtig dieser beständige Gesprächsfaden unter ehemaligen Gegnern ist und zu welch positiven Ergebnissen das Nicht-Nachlassen in diesem Bereich führen kann!

Auch hier gibt es erste greifbare Ergebnisse: Das Westbalkanjugendwerk RYCO hat die ersten Mittel vergeben, mit denen Programme aufgelegt werden, die Jugendliche aus der Region zusammenbringen. Die Bundeskanzlerin hat betont, dass die Wissenschaftsstiftung zeitnah aufgesetzt werden soll.

Es gibt noch viel zu tun – und aus meiner Sicht keine attraktiven Alternativen. Der Berlin-Prozess ist auch im Hinblick auf die Größe der Länder des westlichen Balkans eine bezwingende Idee: Die Länder brauchen Verkehrswege und Dialogforen. Und wenn es einen gemeinsamen Markt gäbe, könnten alle Einwohner der WEB-Länder von den Wohlstandsgewinnen profitieren.

12. Was denken Sie über die Rolle und die Bedeutung von unabhängigem Journalismus in BiH und wie sehr ist dies für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft wichtig?

Unabhängiger Journalismus ist die Grundlage einer demokratischen Gesellschaft. In Anlehnung an die Gewaltenteilung nach Montesquieu bezeichnen wir die Presse auch gerne als „vierte Gewalt“.

Der Hauptgrund ist, dass Bürger die Möglichkeit haben müssen, sich in unabhängigen und qualitativ ansprechenden Medien zu informieren, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Denn: Nur informierte Bürger können eine fundierte Wahlentscheidung treffen.

Es ist enttäuschend zu sehen, dass die Mehrzahl der bih Journalisten nicht nur wirtschaftlicher Abhängigkeit ausgesetzt ist, sondern dass auch immer wieder von Einflussnahme bis hin zu Drohungen berichtet wird. Das haben weder die oft gut ausgebildeten und fleißigen Journalisten noch die informationsbedürftige Leserschaft verdient.


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