Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Außenminister Heiko Maas im Interview mit dem Internet-Portal Klix.ba

11.11.2021 - Interview

Außenminister Heiko Maas äußert sich im Interview zur aktuellen politischen Lage in Bosnien und Herzegowina

BM Heiko Maas
BM Heiko Maas© Picture Alliance
Unterstützen Sie den Bericht von Christian Schmidt, der letzte Woche an den Sicherheitsrat gesendet wurde, in dem er Milorad Dodik als Hauptschuldigen für die Blockaden und politischen Probleme in BiH bezeichnet?

Was wir derzeit in Bosnien und Herzegowina erleben ist die schlimmste politische Krise seit dem Ende des Bosnien-Kriegs 1995 – diese Auffassung teile ich. Es macht mich betroffen, wenn ich höre, dass Menschen im Land sich sogar wieder vor Gewalt fürchten.

Verantwortlich dafür ist vor allem die gefährliche und verantwortungslose Sezessionspolitik der Regierung der Republika Srpska. Nach dem Rückzug aus der gesamtstaatlichen Agentur für Medizin soll offenbar als nächstes der Rückzug aus dem Hohen Justizrat und den staatlichen Steuerbehörden und sogar die Gründung einer eigenen Armee beschlossen werden. Diese nationalistische Politik reißt alte Wunden auf und gefährdet die friedliche Zukunft des ganzen Landes.

Dieser Weg löst kein einziges Problem, aber schafft jede Menge neuer Probleme, gerade auch für die Menschen in der Republika Srbska. Eine anhaltende Krise mit institutionellem Chaos, Lähmung der bitter notwendigen Reformen und weiter zunehmenden Spannungen wird Investoren aus dem Land treiben, die Arbeitslosigkeit steigern und die Abwanderung noch verstärken.

Ist Deutschland bereit, über Milorad Dodik und andere, die staatliche Institutionen untergraben, unabhängig von den USA oder den Institutionen der Europäischen Union, Sanktionen zu verhängen?

Wir werden die Fortsetzung dieser verantwortungslosen Politik nicht tatenlos hinnehmen können. Denn sie schadet nicht nur den Menschen in Bosnien und Herzegowina. Sie wirft auch all die Fortschritte zurück, die mit massiver Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, der EU und Deutschlands auf der Basis des Friedensvertrags von Dayton über viele Jahre erreicht wurden.
Deutschland ist der größte bilaterale Unterstützer Bosnien und Herzegowinas. Es ist aber klar: wir können und werden das Geld deutscher Steuerzahler nicht in eine Entität lenken, die aktiv daran arbeitet, Bosnien und Herzegowina als Gesamtstaat kaputt zu machen. Und wir werden auch über individuelle Maßnahmen gegen diejenigen nachdenken, die die territoriale Integrität des Landes infrage stellen.
Dabei stimmen wir uns sehr eng ab mit unseren Partnern, innerhalb der EU, aber auch mit Amerikanern und Briten.

Kann Deutschland als größte Wirtschaftsmacht Europas die Position des HR nutzen, um BiH zu stärken, vielleicht sogar über die wirtschaftlichen Gründe hinaus? Gemeint sind größere Investitionen und Gründungen von deutschen Unternehmen in BiH, vor allem im Hinblick auf die zunehmende chinesische Wirtschaftspräsenz?

Der hohe Vertreter spielt eine zentrale Rolle. Er soll die staatlichen Institutionen auf allen Ebenen stärken und er wacht darüber, dass der Dayton-Friedensvertrag eingehalten wird. Dafür hat er die volle Unterstützung Deutschlands, unserer EU-Partner sowie der breiten Mehrheit der Mitglieder im VN-Sicherheitsrat. Ihm steht ein breiter Instrumentenkasten zur Verfügung zu dem auch die ihm von der internationalen Gemeinschaft verliehenen Vollmachten, die sogenannten Bonner Befugnisse„ gehören.

Wenn wir über Wirtschaft sprechen, dann müssen wir jedoch in erster Linie über die EU sprechen, sie ist der mit Abstand größte Handelspartner Bosnien und Herzegowinas. Die EU-Perspektive ist die große Chance für Bosnien und Herzegowina und die Region auf eine dauerhafte Zukunft in Frieden und Wohlstand. Sie liegt aber auch im geostrategischen Interesse der EU selbst. Als Europäer verbindet uns eine gemeinsame Vergangenheit und – davon sind wir überzeugt – eine gemeinsame Zukunft.

Aber klar ist auch, dass für eine Mitgliedschaft Bedingungen erfüllt werden müssen. Bosnien und Herzegowina hat 2016 einen Beitrittsantrag gestellt. Damit es hier vorangeht – und das wünschen wir uns sehr – müssen die von der Europäischen Kommission identifizierten Reformen aktiv angegangen werden. Zentral sind etwa Rechtstaatlichkeit oder eine Anpassung des Wahlrechts. Das aktuelle Tempo ist jedoch leider völlig unbefriedigend. Statt anzupacken, werden Reformen verzögert und blockiert. Denn die Umsetzung der von der EU identifizierten Maßnahmen ist kein Selbstzweck, sondern eine unbedingt erforderliche Investition in die Zukunft des Landes. Nur mit einem verlässlichen Rechtsstaat kommen dringend benötigte Investitionen ins Land, entstehen Arbeitsplätze und werden die jungen Bosnierinnen und Bosnier in ihrem Land bleiben.

Im Zusammenhang mit der aktuellen Wahlreform: steht die Bundesregierung noch immer hinter der Position, dass das Prinzip der “legitimen politischen Repräsentanz„ die Spaltungen in BiH vertiefen und die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erschweren könnte?

Wie ich gerade schon gesagt habe: die Umsetzung der von der EU identifizierten Reformen ist dringend erforderlich und sollte von allen Beteiligten als herausragend wichtiger Schritt in einen stabile und erfolgreiche Zukunft für Bosnien und Herzegowina verstanden werden. Zu den dringend notwendigen Reformen gehört auch die Wahlrechtsreform. Dabei ist es besonders wichtig, dass die Transparenz des Wahlprozesses erhöht wird, um Manipulationen zu verhindern. Die OSZE und der Europarat haben dazu Empfehlungen ausgesprochen. Außerdem muss eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umgesetzt werden. Hier ist seit Jahren nichts passiert. Bei alledem ist für uns jedoch ganz klar, dass die Reform nicht zu einer Vertiefung der bestehenden ethnischen Spaltung führen darf.

nach oben